BLENDED LEARNING: Halb real, halb online studieren
Blended Learning hat seinen Platz an der Hochschule. Das gemischte Lernen, bei dem Studierende zwischen virtuellem und realem Klassenzimmer pendeln, ist im Trend – und fordert Hochschule wie Studierende.
Die Welt wird auf den Kopf gestellt. Zumindest die Welt des Unterrichts. Vor dem Computer werden Inhalte gelernt und im Klassenzimmer Aufgaben besprochen. Flipped Classroom nennt sich dieses Modell, zu Deutsch umgedrehtes Klassenzimmer. Der Lernstoff wird auf einer Plattform online bereitgestellt, Dozierende vermitteln in Kurzvideos Wissensstoff, und Chats und Foren sorgen für Interaktion. Zur Standortbestimmung werden Quiz aufgeschaltet. Der Präsenzunterricht gestaltet sich dann nach den Bedürfnissen und Fragen, die sich aus der Online-Lernphase ergeben. Der Flipped Classroom ist eine Form des Blended Learning, des gemischten Lernens. Dahinter stehen Unterrichtsmethoden, bei denen sich Präsenzunterricht und virtuelle Lernphasen abwechseln und beide ineinander verzahnt sind. Digitales, virtuelles Lehren und Lernen ist für die ZHAW ein strategischer Schwerpunkt. Online-Lernformate sollen dort eingesetzt werden, wo sie sinnvoll sind, und gleichzeitig die Vorteile des Präsenzunterrichts genutzt werden. Der Präsenzunterricht bleibt ein wichtiger Pfeiler der Lehre. «Es gilt, aus beiden Welten das Beste zu kombinieren», sagt Lisa Messenzehl, Leiterin der Fachgruppe Blended Learning der ZHAW.
«In der Schweiz ist dieser grosse Anteil an virtuellem Unterricht bei einem Bachelorstudium wohl einmalig.» Markus Alder, Head of Distance Learning, School of Management and Law
An der School of Management and Law (SML) wird derzeit die konsequenteste Form von Blended Learning innerhalb der ZHAW durchgeführt: Seit 2015 gibt es in der Vertiefungsrichtung Banking & Finance des Bachelorstudiums in Betriebsökonomie neben dem Vollzeit- und dem Teilzeitstudium einen Blended-Learning-Studiengang namens «Flex»: Die Hälfte des bisherigen Präsenzunterrichts wird in diesem Programm online vermittelt, die andere Hälfte findet im Klassenzimmer statt. Zwei weitere Vertiefungsrichtungen sind bis heute dazugekommen. «In der Schweiz ist dieser grosse Anteil an virtuellem Unterricht bei einem Bachelorstudium wohl einmalig», sagt Markus Alder, Head of Distance Learning und stellvertretender Leiter des Zentrums für innovative Didaktik an der SML.
«Ich kann die Lernzeit selber einteilen und habe die Möglichkeit, nebenbei Karriere im Beruf zu machen.» Student des FLEX-Studiengangs
Der Bachelorstudiengang besteht aus 30 Modulen, die jeweils von einem eigenen Dozententeam bestritten werden. Jedes Modul sei «geflext» worden, wie es Alder bezeichnet. Was bedeutet, dass es in einem Workshop mit den Dozierenden in seine Einzelteile aufgeschlüsselt und diese für das Online-Selbststudium aufbereitet wurden. Lerntexte und kurze Lernvideos sind, neben vielen weiteren Online-Formaten, ein neuer und wesentlicher Bestandteil. Dafür wurde eigens ein neues Videostudio eingerichtet. Die flexiblen Lernzeiten und -orte sind das grosse Plus des gemischten Lernens. «Ich kann die Lernzeit selber einteilen und habe die Möglichkeit, nebenbei Karriere im Beruf zu machen», sagte ein Studierender des Flex-Studiengangs der SML. So können auch Studierende teilnehmen, die weiter weg wohnen oder denen aus familiären oder beruflichen Gründen die Zeit fehlt, an den Hochschulort zu reisen. «Und diese Studienformate sind zeitgemäss», so Fachgruppenleiterin Messenzehl. «Sie entsprechen den Erwartungen vieler Studierender.» Doch sie betont auch die positiven Lerneffekte: «Die Kooperation und Kollaboration in virtuellen Teams kann geübt werden – das sind Kompetenzen, die auch in der Arbeitswelt gefragt sind.»
«Die Kombination von Präsenz- und Online-Unterricht ist logistisch anspruchsvoll.» Daniela Lozza, E-Learning-Verantwortliche am Departement Life Sciences und Facility Management.
Der teilweise Wechsel von Präsenz zu online bedeutet auch eine grosse organisatorische Anpassung für die Hochschule. Beim Flipped Classroom etwa müssen Stundenpläne so strukturiert sein, dass genug Zeit für die Online-Phasen zur Verfügung steht. Bei der Umstellung entstehen oft Lücken zwischen Präsenzlektionen. Wenn diese für das Online-Lernen genutzt werden sollen, müssen auf dem Campus mehr studentische Arbeitsplätze vorhanden sein. «Die Kombination von Präsenz- und Online-Unterricht ist logistisch anspruchsvoll», sagt Daniela Lozza, E-Learning-Verantwortliche am Departement Life
Sciences und Facility Management.
Das gilt auch für die Studierenden. Denn das unbegleitete Selbststudium zu Hause am Computer erfordert einiges mehr an Selbstdisziplin und Selbstorganisation. Auch die Digital Natives sind nicht per se motiviert, am digitalen Gerät zu lernen, selbst wenn sie mit der «Omnipräsenz digitaler Medien aufgewachsen sind», wie es Cécile Ledergerber umschreibt, Leiterin des Bachelorstudiengangs Physiotherapie, wo die Lernmethode Flipped Classroom eingesetzt wird. «Blended-Learning-Szenarien bringen alleine noch keine Lernprozesse in Gang.»
«Digital Natives mögen es, für ihre Aktivitäten unmittelbar belohnt zu werden, so wie sie es aus der digitalen Spielewelt kennen.» Cécile Ledergerber, Leiterin des Bachelorstudiengangs Physiotherapie
Begriffe zum digitalen Lernen
Blended Learning
(zu Deutsch gemischtes Lernen) kombiniert Phasen des klassischen Präsenzunterrichts mit längeren Phasen vom unbegleiteten Online-Lernen.
Flipped Classroom oder Inverted Classroom (zu Deutsch umgedrehtes Klassenzimmer) ist ein Blended-Learning-Format, das die Lernstoffvermittlung und die Hausaufgaben vertauscht: In der realen Lehrveranstaltung werden die Hausaufgaben besprochen.
E-Learning ist eine Ergänzung und Anreicherung des Präsenzunterrichts.
Online Learning ist das reine unbegleitete Lernen am Computer, ohne Präsenzunterricht.
Distance Learning bezeichnet generell den Fernunterricht.
Seamless Learning (zu Deutsch durchgängiges Lernen): Die formale Ausbildung soll – mittels digitaler Hilfsmittel – mit Alltagserfahrungen verzahnt und so Brüche in Lernkontexten überbrückt werden. Ziel ist das lebenslange Lernen.
Webinar ist der Zusammenzug der Wörter Web und Seminar und bezeichnet ein virtuelles interaktives Seminar, das über das Internet gehalten wird.
Feedback von Studierenden
«Extrem anstrengend» ist denn auch eine oft gehörte Reaktion der Studierenden auf das Online-Lernen. Oder: «Teilweise fehlt die Motivation zum Lernen, vor allem an sonnigen Tagen», sagt ein Studierender des Flex-Studiengangs der SML. Damit die Studierenden nicht offline gehen, ist eine regelmässige Selbstevaluation genauso wichtig wie das Begleiten des Lernprozesses durch den Dozenten mit Mails und Remindern. Beim Flipped Classroom etwa müssen Studierende erst darauf trainiert werden, dass sie mit Fragen ins Klassenzimmer zurückkehren müssen: «Das sind Studierende nicht gewohnt», sagt die E-Learning-Verantwortliche Lozza. Um Motivation fürs Lernen zu erzeugen, werden deshalb oft Verhaltensweisen aus dem alltäglichen Umgang mit Online-Medien übernommen: «Digital Natives mögen es, flexibel zu interagieren und für ihre Aktivitäten unmittelbar belohnt zu werden, so wie sie es aus der digitalen Spielewelt kennen», sagt Ledergerber. Das Stichwort ist hier Gamification des Lernens. Die Umsetzung von Blended Learning sei ein permanenter Zustand des Anpassens, sagt Fachgruppenleiterin Lisa Messenzehl: Evaluieren, welche Inhalte online vermittelt werden können und welche im direkten Unterricht und wie die Inhalte online aufbereitet werden müssen, damit der grösstmögliche Lerneffekt resultiert.
Immer wichtiger würden auch interdisziplinäre Lerninhalte. Generell werde der Unterricht mehr individualisiert und personalisiert, ist Alder überzeugt. Das Blended Learning werde dabei seinen Platz neben den reinen Präsenzstudiengängen finden, ist Alder überzeugt. Doch verdrängen werde es sie nicht. Damit muss auch der Präsenzunterricht seine neue Rolle finden: «Jetzt sind wir daran, den Präsenzunterricht aufzuwerten», sagt Alder: «Nur Präsentationsfolien zu zeigen, reicht jetzt nicht mehr.»
Autorin: Sibylle Veigl
Wie ZHAW-Dozierende digitale Lehrformen lernen
Die Vorbereitung und Produktion von Lerninhalten für den Online-Unterricht ist deutlich anspruchsvoller und aufwendiger als für den Präsenzunterricht. Nebst dem zeitlichen Aufwand stellen sich Fragen wie: Wo fange ich an? Welche Inhalte sollen online ausgelagert werden? Welche Tools sollen dafür genutzt werden? Dozierende der ZHAW können sich in verschiedenen Kursen der Fachgruppe Blended Learning im Rahmen eines internen Fortbildungsprogramms Unterstützung in solchen Fragen holen, sei es zu den Möglichkeiten der Lernplattform Moodle, zu Online-Tests, Tools und didaktischen Tipps fürs Blended Learning oder zu Urheberrecht und Datenschutz. Neben diesen ZHAW-übergreifenden Kursen organisieren die einzelnen Departemente Workshops und Referate. Die Departemente LSFM und SML zum Beispiel bieten regelmässig einen Wissensaustausch über die Mittagszeit an, der von einem Referat eingeleitet wird. Die Kurse finden allerdings fast ausschliesslich im realen Raum statt: «Die Dozierenden schätzen den Präsenzunterricht», sagt Lisa Messenzehl, Leiterin der Fachgruppe Blended Learning der ZHAW. Die Lehrpersonen nützten die Schulungen, um sich mit anderen auszutauschen, und es entstünden Kontakte zwischen den Departementen. «Insofern sind unsere Schulungen auch Gelegenheiten für hochschulweites Wissensmanagement zu Best Practices im Bereich Blended Learning», sagt Messenzehl.
Wie Studierende zum Online-Lernen motiviert werden
Auch das Blended Learning ist kein didaktischer Selbstläufer, meint Cécile Ledergerber, Leiterin des Bachelorstudiengangs Physiotherapie, wo das Konzept des Flipped Classroom angewandt wird. Um auf Distanz Motivation zu erzeugen und die Studierenden bei der Stange zu halten, sieht sie folgende Aspekte als entscheidend an:
- Interesse wecken
- Den Nutzen für die Berufspraxis aufzeigen
- Transparente Lernziele setzen
- Den Schwierigkeitsgrad angemessen wählen
- Ungehinderter Zugang durch benutzerfreundliche Plattform
- Verbindlichkeit und Verbundenheit herstellen
- Getaktete Lerneinheiten, bei denen einzelne Levels zu schaffen sind
- Klare zeitliche Fristen
- Einflussnahme auf den Inhalt des Präsenzunterrichts ermöglichen
Hochschulmagazin ZHAW-Impact
«Studium der Zukunft» lautet das Dossierthema der Dezember-Ausgabe des Hochschulmagazins ZHAW-Impact.
Eine Auswahl der Themen:
Individualisiertes und flexibles Lernen für die digitale Transformation – eine neue ZHAW-Teilstrategie begründet den Masterplan für die nächsten zehn Jahre. Kreativer, flexibler und aktueller, so stellt sich Leandro Huber, der Präsident der Studierendenorganisation VSZHAW, sein Studium der Zukunft vor. Die Lernfabrik an der School of Engineering erklärt das Prinzip Industrie 4.0. Im Biotech-Labor der Zukunft können Studierende ihre Experimente von unterwegs kontrollieren. Kreativ sein, ausprobieren, Fehler machen dürfen: Bei den Lernkonzepten «Service Design» und «Collaborative Online International Learning» steht Erfahrung im Fokus. Hybride Lebensläufe: Rafael Freuler – der einstige Internetunternehmer ist Quereinsteiger in die Soziale Arbeit. Halb real, halb online studieren mit Blended Learning. Mit Seamless Learning Brüche in der Lernbiografie verhindern. Lesen Sie weitere Beiträge über praxisorientiertes Studieren und Prüfungen der Zukunft.
Interessiert? Hier können Sie das Impact kostenlos abonnieren oder lesen: