Oben Strom, unten Weizen – Ist die Agri-Photovoltaik eine Option für die Schweizer Landwirtschaft?
Eine erste Tagung zur Agro-Photovoltaik auf nationaler Ebene beleuchtete ausführlich die verschiedenen Möglichkeiten, Energieerzeugungssysteme und Nahrungsmittelproduktion auf ein und derselben Fläche anzusiedeln. Dabei zeigte sich: Das Potenzial ist erheblich.
Der sich abzeichnende Mangel an Strom und Gas ist derzeit wohl eines der am häufigsten diskutierten Themen. Gleichzeitig bahnt sich eine Nahrungsmittelknappheit an, aufgrund der steigenden Produktionskosten und des Zusammenbruchs globaler Lieferketten. Hochaktuell ist also die Frage, wie Energiesicherheit und Nahrungsmittelproduktion zusammenpassen, ohne sich gegenseitig zu konkurrenzieren. Die Frage Tank oder Teller ist global betrachtet äusserst real: Es wird gleichviel Fläche für die Produktion von Bio-Treibstoffen genutzt, wie Ackerfläche zur Produktion von Pflanzen für die direkte menschliche Ernährung. Die Agro-Photovoltaik oder kurz Agri-PV folgt demgegenüber der Idee, landwirtschaftliche Nutzung und Photovoltaik-Infrastruktur gemeinsam zu betreiben, um bestenfalls Ernteerträge zu steigern, den Wasserverbrauch zu verringern und daneben effizient erneuerbare Energie zu produzieren.
Revidierte Raumplanungsverordnung ermöglicht Spielraum für Agri-PV
Was bislang undenkbar schien, ist mit der Annahme der Revision der Raumplanungsverordnung durch den Bundesrat am 3. Juni 2022 in greifbare Nähe gerückt: der Bau von PV-Anlagen auf Landwirtschaftsland. Diese können neu als «standortgebunden» gelten, wenn sich Vorteile für die landwirtschaftliche Produktion ergeben, auch in Form eines höheren Naturalertrags auf Fruchtfolgeflächen. Christoph de Quervain vom Bundesamt für Raumentwicklung brachte Licht ins Dunkel dieser Verordnungsanpassungen. Grundsätzlich wolle man Möglichkeiten schaffen, den Zubau auch für grössere Anlagen zu ermöglichen, da wo es Sinn ergibt und in wenig empfindlichen Gebieten. Diese sind nicht klar definiert – das kann angrenzend an die Bauzone sein, aber auch entlang von Autobahnen. Vorbehalten bleibt auf jeden Fall eine Planungspflicht sowie eine ausführliche Interessensabwägung.
Machbarkeitsstudie der ZHAW untersucht das Potenzial der Agri-PV in der Schweiz
Anlass der Tagung am 14. Juli 2022 war die Vorstellung von einigen Ergebnissen der ZHAW-Machbarkeitsstudie zur Agro-Photovoltaik in der Schweiz, welche die Potenziale und Risiken aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Im Vordergrund stehen agronomische, technische sowie raumplanerisch-rechtliche Aspekte.
Mareike Jäger, Projektleiterin der Studie und Tagungsleiterin, zeigte das enorme räumliche und energietechnische Potenzial der Agri-PV in der Schweiz auf. Rein theoretisch könnte dreimal so viel Strom erzeugt werden, wie verbraucht wird – sofern man alle Flächen in der Landwirtschaftszone einbezieht, die von der Solareinstrahlung her geeignet wären sowie unter Berücksichtigung des Energieerzeugungspotenzials dreier gängiger Agri-PV-Systeme für Ackerbau, Dauergrünland und Spezialkulturen. In der Realität ergibt sich eine Reduktion des Flächenpotenzials durch gewisse Restriktionen. So ist aus raumplanerischer Sicht Agri-PV nur in «wenig empfindlichen Gebieten» vorstellbar. Das bedeutet zum Beispiel, dass die Realisierung von Vorhaben in Gebieten, die zum Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung gehören, weniger realistisch ist. Auch die Installation von PV-Modulen auf Biodiversitätsförderflächen ist derzeit nicht gestattet. Berücksichtigt man diese und weitere Restriktionen, so verringert sich die Potenzialfläche nochmals um 25 Prozent.
Nutzung auf Flächen, die wirtschaftlich erschlossen werden können
Agri-PV-Projekte werden nur realisiert, wo Flächen wirtschaftlich erschlossen werden können. Ein dritter Schritt des räumlichen Potenzials widmet sich deshalb der Frage, wie gross die Wahrscheinlichkeit für die Umsetzung von Agri-PV Projekten ist, unter Berücksichtigung der Entfernung zum Stromnetz. Diese dritte Betrachtungsebene erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Projekt Nexus-e der ETH Zürich. Vorläufige Ergebnisse zeigen, dass das Umsetzungspotenzial schnell abnimmt, wenn die Netz-Erschliessung berücksichtigt wird. Bei den Ackerflächen beträgt es nach vorläufiger Schätzung noch 40 Prozent, wenn das Netz in unmittelbarer Umgebung (100 Meter) sein muss.
Mareike Jäger erläuterte, mit welchen Flächenanteilen man rechnen könnte, wenn wir künftig von einem erhöhten Strombedarf von etwa 80 Terrawattstunden pro Jahr ausgehen und etwa 10 Prozent davon aus der Agri-PV kämen. Dies hiesse: etwa 11'486 Hektar Ackerfläche (ca. 1.1 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Schweiz) oder 27'914 Hektar Grünland oder 9'643 Hektar Dauerkulturen (Rebberge und Obstanlagen).
Agri-PV da, wo es Sinn macht
Florian Reyer, Landwirt aus Heggelbach (D) am Bodensee hat bereits mehrere Jahre Erfahrung mit der Bewirtschaftung einer Agri-PV-Anlage im Ackerbau. Seine Meinung ist deutlich: Die Landwirtschaft muss nicht alle gesamtgesellschaftlichen (Fehl-)Entwicklungen lösen. In Deutschland wird bereits ein erheblicher Teil der Fläche zur Nahrungsmittelproduktion der Energieerzeugung (Biogas, nachwachsende Rohstoffe usw.) geopfert. Die landwirtschaftliche Nutzung in Agri-PV-Konzepten darf nicht zur «Scheinbewirtschaftung» verkommen. Florian Reyer selbst ist für eher kleine Anlagen in der Grössenordnung von 1 bis 2 Hektaren, in einem Teilhabemodell mit den Landwirten. Der Fokus von Forschung und Planung sollte auf den Zusatznutzen für die Landwirtschaft gelegt werden: Hagelschutz, Regenschutz, Verdunstungsschutz, Dauerkulturen, Beschattung und Bewässerung.
BLW stellt den Schutz der Fruchtfolgeflächen in den Vordergrund
Johnny Fleury, stellvertretender Fachbereichsleiter am Bundesamt für Landwirtschaft BWL, erklärte in seinem Beitrag die Position des BLW, bei der Umsetzung von Agri-PV-Projekten auf Fruchtfolgeflächen besonders streng zu sein. Fruchtfolgeflächen sind die wertvollsten Ackerflächen der Schweiz und für die Eigenversorgung zur menschlichen Ernährung unverzichtbar. Kritisch sieht er auch die möglichen Auswirkungen auf den Bodenmarkt, mit einer Abnahme der Flächenmobilität sowie steigenden Pachtzinsen und Flächenpreisen. Gemäss BLW müssen die Bewilligungsbehörden in den Kantonen genau prüfen, ob das Bauvorhaben wirklich Vorteile für die landwirtschaftliche Produktion bewirkt.
Agro-Photovoltaik kreativ nutzen
Die Agri-PV wird uns in der Schweiz noch weiter beschäftigen. Allein das Potenzial auf diejenigen Produktionssysteme zu beschränken, wo das PV-System am wenigsten stört (z.B. Obstanlagen, die bereits gedeckt sind) wäre jedoch zu kurz gedacht und als Stromquelle auch wenig bedeutsam. Chancen bieten integrierende Agri-PV-Ansätze, wo zum Beispiel entlang des Schattenwurfs (Schattengradiente) Habitate zur Biodiversitätsförderung mitkonzipiert werden oder sich innovative Möglichkeiten zum gezielten Wassermanagement ergeben.
Downloads (Fotos © ZHAW)
- Medienmitteilung «Oben Strom, unten Weizen – Ist die Agri-Photovoltaik eine Option für die Schweizer Landwirtschaft?»(PDF 176,4 KB)
- Bild 1: Beispiel für Agrophotovoltaik in einem Rebberg
- Bild 2: Gaël Nardin (links aussen) von der Schweizer Firma Insolight demonstriert die Funktionsweise der THEIA-Module. Die Lichtdurchlässigkeit dieser Solarmodule lässt sich zur Anpassung der Energieproduktion bzw. der Photosynthese im Bereich von 15 bis 70 Prozent anpassen.
- Bild 3: Die Agri-PV-Expertin der ZHAW, Mareike Jäger leitete die Tagung.
- Hinweis an die Redaktionen: Die Präsentationen aller ReferentInnen sind bis 31. August 2022 auf der Tagungswebseite abrufbar.
Fachkontakt
- Mareike Jäger, Dozentin landwirtschaftliche Produktionssysteme, Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen, ZHAW/Wädenswil. 058 934 58 95. mareike.jaeger@zhaw.ch
Medienkontakt
- Cornelia Sidler, Media Relations Departement Life Sciences und Facility Management, ZHAW/Wädenswil, 058 934 53 66. cornelia.sidler@zhaw.ch
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