Pully
Die Stadt Pully im Kanton Waadt zählt etwas mehr als 18'000 Einwohner, liegt am Nordufer des Genfersees und gehört zur Agglomeration der Stadt Lausanne, deren Zentrum nur rund 3km entfernt liegt. Pully repräsentiert andere mittelgrosse Städte, welche sich im Ballungsraum einer Grossstadt befinden und ähnliche Herausforderungen wie beispielsweise ein hohes Transitaufkommen oder verhältnismässig wenige lokale Unternehmen haben. Eine offizielle Smart-City-Initiative wurde aus Ressourcengründen nicht gestartet, dennoch ist eine graduelle kontinuierliche Entwicklung zu beobachten. Pully führt seit 2013 verschiedene Pilotprojekte erfolgreich durch und konnte dank Lerneffekten über die Jahre Umfang und Komplexität der Projekte steigern so dass die Stadt im schweizweiten Vergleich gut mithalten kann.
Kooperative Partnerschaften: Pully setzt bei der Umsetzung der Projekte auf kooperative Partnerschaften mit IT-Unternehmen, Forschungsinstitutionen, NGOs, anderen Gemeinden oder Kantonen. Die Zusammensetzung des Projektkonsortiums wird flexibel gehandhabt und ändert sich je nach Herausforderung. Die Kooperationspartner findet Pully auf unterschiedlichen Wegen: Über bestehende Zusammenarbeit oder Partnerschaften aus anderen Bereichen, neue Kontakte welche z.B. auf der Smart Suisse Messe entstanden, auf Initiative von privatwirtschaftlichen Firmen oder durch gezielte Anfragen bei anderen Städten. Vorteilhaft erwies sich die Tatsache, dass jeweils mindestens ein Fachspezialist, ein Entscheidungsträger der Verwaltung sowie ein Politiker im Projektteam beteiligt war, so dass die Projekte die notwendigen Entscheidungskompetenzen und Unterstützung hatten. Die Stadt hat nicht die Ressourcen, eine grosse mehrjährige Initiative zu starten und setzt darum auf eine sanfte Entwicklung hin zu einer Smart City. Projekte werden entweder aus einem akuten neuen Bedürfnis gestartet oder wenn bestehende Infrastruktur und IT Komponenten ihre Lebensdauer überschreiten. So kann der natürliche Beschaffungs- und Erneuerungsprozess genutzt werden, um eine graduelle Umsetzung smarter Lösungen zu erreichen, es müssen keine hohen up-front Investitionskosten getätigt werden und die Akzeptanz aller Beteiligten ist hoch. Ein Beispiel dafür ist die Erneuerung der Software für die Überwachung und Instandhaltung der städtischen Leitungen (Wasser, Elektrizität, etc.), für welche zusammen mit dem interkommunalen Dienstleister SIGE (u.a. für die Städte Montreux und Vevey zuständig) die Idee einer open-source Software erarbeitet wurde. Da sich an der Umsetzung auch die Städte Lausanne und Morges beteiligten, konnten die Entwicklungskosten für die einzelnen Städte tief gehalten werden. Weitere Vorteile waren das Pooling des Wissens aller Beteiligten, die internationale Zusammenarbeit von Entwicklern und die modulare Erweiterbarkeit der Software dank open source. Damit das Co-Development der Software funktionierte, wurden 8 Workshops mit allen Partnern durchgeführt. Gleichzeitig stellte Pully ein solides Projektmanagement mit standardisierten Prozessen sicher, so dass sich die Teilnehmer auf die inhaltlichen Themen konzentrieren konnten und nicht durch administrative Probleme gehindert wurden. Diese Kooperation wird aktuell für die Entwicklung eines Abwasser Management Moduls weitergeführt.
Messung der Verkehrsströme: 2015 entstand aus der chronischen Überlastung der Hauptverkehrsachse durch die Stadt das bisher komplexeste Projekt. Auf das Vorhaben, das Stadtzentrum verkehrsfrei zu gestalten, protestierten die lokalen Gewerbe da sie befürchteten, einen grossen Teil ihrer Kundschaft zu verlieren. Um zu analysieren was die Ursprungs- und Zieldestination der Verkehrsteilnehmer sind und ob sie Zwischenhalte machen, startete man eine systematische Messung der Verkehrsströme. Die Verwaltung hatte weder die Ressourcen noch das Know-how für die Messung aber man fand mit der Swisscom und der EPFL geeignete Partner für das Projekt. Anhand der Verbindungsdaten, welche die Mobiltelefone der Personen in Pully auf den Antennen der Swisscom hinterlassen, können aggregierte und anonymisierte Statistiken erstellt werden. Dadurch kann auch der Datenschutz sichergestellt werden, da Pully nur die konsolidierten Bewegungsdaten erhält und keinen direkten Zugriff auf die Server der Swisscom hat. Die grösste Erkenntnis war, dass 85% des Verkehrs reiner Transit ist (Stand 2017). Da es sich bei den aktuellen Statistiken um Annäherungswerte handelt, will man diese in einer nächsten Phase mittels Messungen vor Ort durch Sensoren präzisieren und die gewonnen Erkenntnisse bei der Umgestaltung des Stadtzentrums einfliessen lassen.
Der Partnership-Ansatz hat einige Nachteile wie z.B. die Abhängigkeit vom externen Partner. Dies wurde Pully im Falle des Breitbandausbaus zum Verhängnis. Die Stadt betreibt seit 2001 keine eigenen Telekom-Leitungen mehr und hat die Versorgung der Haushalte den beiden Wettbewerbern Swisscom und UPC überlassen. Das Bedürfnis nach schnellerem Internet wurde von der Bevölkerung immer wieder geäussert, so dass die Stadt mit einer der Telekomfirmen Verhandlungen aufnahm, wie Fiber-to-the-home (FTTH) Anschlüsse grossflächig umgesetzt werden können. Noch während dieser Verhandlungen entschied der Anbieter jedoch, dass diese Anschlüsse zukünftig aus Profitabilitätsgründen gar nicht mehr installiert werden. Die Verwaltung muss in diesem Fall die unbefriedigende Situation bis auf Weiteres hinnehmen, da die Verlegung der Anschlüsse für die Stadt allein nicht tragbar ist.
Obschon Pully keine Smart City Initiative hat, machte man sich 2018 einige Gedanken zur grundsätzlichen Ausrichtung, da vermehrt Smart City Projekte umgesetzt werden. Dabei wurde mehr das WIE statt das WAS definiert. Die Auswahl der Projekte orientierte sich fortan an den vier festgelegten Grundwerten Human – Freundlich – Effizient – Praktisch, welche zusammen mit einem Philosophen entwickelt wurden. Dies unterstreicht den Ansatz, dass Technologie als Werkzeug und in den Diensten der Gesellschaft verstanden wird. Projekte werden oft in einem try & error-Ansatz im kleinen Rahmen gestartet, ohne dass Zeitplan, Budget oder das Endziel detailliert vorgegeben wurden. Kombiniert mit einem standardisierten Projektmanagement ermöglicht dies den Beteiligten, kreative Ideen zu testen und bestehende Lösungen weiterzuentwickeln ohne sich um administrative Hindernisse kümmern zu müssen. Eine ausgeprägte Fehlerkultur bei den Pilotprojekten gehört ebenso zu den Erfolgsfaktoren der Stadtverwaltung.
Weitere Informationen:
Kontakt:
Alexandre Bosshard
Membre de la Direction, coordinateur et chef de projet