«Die Bedeutung des Studiengangs kann man gar nicht überschätzen»
Als Projektleiter hat Joachim Borth 2012 den Studiengang Energie- und Umwelttechnik an der ZHAW School of Engineering mit ins Leben gerufen. Im achten Jahr als Studiengangleiter übergibt er das Zepter nun an Franz Baumgartner. Im Interview blicken die beiden Dozenten zurück und in die Zukunft.
Seit 2012 bilden Sie beide als Dozenten Ingenieur:innen im Studiengang Energie- und Umwelttechnik aus – ein Erfolgsmodell?
Joachim Borth: Fünf Jahrgänge haben uns jetzt schon verlassen. Die ehemaligen Studierenden sind alle in verschiedensten Unternehmungen rund um die Energie- und Umwelttechnik tätig. Das ist sicherlich als Erfolg zu werten. Zudem konnten wir unseren Studiengang vor drei Jahren ohne Auflagen akkreditieren. Auch das war ein schöner Erfolg und zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Franz Baumgartner: Es sind Fachleute gefragt, die nicht nur die elektrische Energie verstehen, sondern auch die thermische Seite. Diese Verknüpfung von zwei unterschiedlichen Themenfeldern beherrschen unsere Absolvent:innen. Erfolg haben sie aber vor allem, weil sie nicht nur technische Lösungen entwickeln, sondern auch deren Wirtschaftlichkeit berechnen und deren Nachhaltigkeit bewerten können. Auf diese Breite legen wir grossen Wert. Denn auch die tollsten Konzepte nützen nichts, wenn sie nicht umgesetzt werden.
Per 1. Februar 2020 übernimmt Franz Baumgartner die Studiengangleitung – was bedeutet das für den Studiengang und die Studierenden?
Franz Baumgartner: Als Dozent begleite ich den Studiengang ja bereits seit Beginn und durfte ihn in dieser Zeit auch inhaltlich mitentwickeln. Als Studiengangleiter setze ich die Arbeit von Joachim Borth fort. Mein Ziel ist es, mehr Studierende zu erreichen und ihnen die vielfältigen Herausforderungen rund um die Energie in unserer Zeit näher zu bringen. Den Kontakt mit den Firmen aus der nachhaltigen Energiebranche möchte ich weiter pflegen.
Joachim Borth: Der Übergabeprozess ist ausserdem fliessend. Ich bleibe noch ein halbes Jahr da, bevor ich mich in den Ruhestand verabschiede. Im Frühlingssemester werde ich unterrichten und Franz Baumgartner in dieser Zeit beratend zur Seite stehen.
«Ich hoffe, dass sich der Impuls, der von Fridays for Future ausgeht, auf unsere Studierendenzahlen auswirken wird.»
Joachim Borth
Wie hat sich der Studiengang im Laufe der Jahre entwickelt?
Joachim Borth: Am Anfang haben wir von einem aufrüttelnden Ereignis und der daraus geänderten Bundespolitik profitiert, nämlich der Nuklearkatastrophe von Fukushima. Das war der Startpunkt, an dem man begonnen hat, über die Energiewende nachzudenken. Es hat uns zu Beginn etwas mehr als 60 Studierende beschert. In den letzten Jahren haben sich die Studierendenzahlen auf 35 bis 40 pro Jahrgang eingependelt. Nun hoffe ich, dass sich der Impuls, der von Fridays for Future ausgeht, wiederum auf unsere Studierendenzahlen auswirken wird.
Franz Baumgartner: Die inhaltliche Weiterentwicklung des Studiums geht natürlich einher mit dem technischen Fortschritt. Wir haben uns auch im Wettbewerb mit anderen Hochschulen schon vor Jahren mit der wichtigen Bedeutung der elektrischen erneuerbaren Energien auseinandergesetzt sowie deren Integration ins Netz. Der Markt hat uns Recht gegeben und unsere Studierenden haben so tolle Jobs gefunden. Eine andere Entwicklung, die wir genau im Auge behalten werden, ist die Kopplung der Elektrizitäts- und Wärmeversorgung; vor allem auch deren wirtschaftlicher und ökologischer Beitrag in Verbindung mit der Infrastruktur der kommenden Elektromobilität. Konkret haben wir diese Inhalte auch in der Projektschiene über die Jahre weiterentwickelt. Diese Praxismodule haben für uns als Fachhochschule schon von der ersten Studienwoche an einen besonderen Stellenwert.
Inwiefern ist der Studiengang mit Blick in die Zukunft von Bedeutung?
Joachim Borth: Wir bilden unsere Studierenden aus, um an der Bewältigung einer grossen Zukunftsaufgabe mitarbeiten zu können. Der immer stärker spürbare Klimawandel erfordert ein radikales Umdenken und Umlenken weg von fossilen Energieträgern hin zu einer CO2-freien Energieversorgung. Unsere Absolventinnen und Absolventen sind in der Lage, solche innovativen Energiesysteme zu entwickeln. Sie können sowohl für die thermische als auch für die elektrische Energieversorgung Lösungen erarbeiten, aber auch die Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit beurteilen. Das wird in Zukunft vermehrt erforderlich sein und deswegen denke ich: Die Bedeutung des Studiengangs kann man gar nicht überschätzen.
Franz Baumgartner: Die Interdisziplinarität ist die DNA der neuen Energietechnik. Denn sie braucht es, wenn die klassischen fossilen Lösungen beispielsweise in der Gebäudetechnik oder auch in der Mobilität wegfallen. Unsere Absolventinnen und Absolventen werden im Beruf mit Elektro- und Maschineningenieuren reibungslos zusammenarbeiten. Das wollen wir früh fördern, beispielsweise mit studiengangübergreifenden Projekt- oder Bachelorarbeiten mit Partnern aus der Energiebranche.
«Die Interdisziplinarität ist die DNA der neuen Energietechnik. Denn sie braucht es, wenn die klassischen fossilen Lösungen wegfallen.»
Franz Baumgartner
Wie beurteilen Sie die Energiestrategie des Bundes?
Franz Baumgartner: Die Schweiz ist das einzige Land weltweit, welches gefragt wurde, wie es die Energiezukunft gestalten will. 2017 haben 57 Prozent ja gesagt zu mehr erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Das war auch ein Ja zu all den Produkten und Komponenten, die unsere Studierenden künftig noch entwickeln werden. Heute ist in der Schweiz pro Kopf im Mittel erst ein Photovoltaikmodul installiert. Es müssen noch sechs weitere Solarmodule pro Kopf folgen, um die Ziele des Bundesrats für die Energiestrategie 2050 zu erreichen. Es geht darum, diese Technologie in Bestehendes zu integrieren und auch mit neuen Anwendungen zu verknüpfen. Wir müssen die Energiesektoren koppeln. Das heisst beispielsweise die Erfolgsstory vorantreiben, Wärmepumpen mit Photovoltaikstrom zu betreiben. So wird der Strom aus dem elektrischen Sektor in den Wärmesektor transferiert. Bei all dem dürfen wir die Effizienz nicht aus dem Auge lassen, die sehr viel Sachverstand der Energietechnik fordert.
Joachim Borth: Wie schon betont, wenn wir wirklich einen substanziellen Beitrag gegen den Klimawandel leisten wollen, müssen wir schneller zu erneuerbaren Energien wechseln und Massnahmen zur Energieeffizienz konsequenter verfolgen. Solange insbesondere die elektrische Energie so billig ist, besteht kein Anreiz zum Wandel. Solche Anreize könnten beispielsweise mit Lenkungsabgaben beim Stromverbrauch geschaffen werden. Auch das Festhalten an Kernenergieanlagen bremst den Umbau hin zu einer nachhaltigen Energieversorgung. Ausserdem werden die atomaren Abfallmengen immer grösser, deren Lagerung und Kosten hierfür immer noch unklar sind. Die Finanzierung von Photovoltaikanlagen hingegen wird immer günstiger. Ausserdem fallen bei diesen Anlagen die Arbeitskosten mehrheitlich in der Schweiz an. Das sichert und schafft Arbeitsplätze bei uns.
In den letzten Jahren setzten sich auch Ihre Studierenden kritisch mit der Energiestrategie auseinander. Wie beurteilen Sie dieses politische Engagement?
Joachim Borth: Ja, unsere Studierenden beteiligen sich an der politischen Debatte zu Energiefragen. 2013 haben sie sich an der Vernehmlassung zum ersten Massnahmenpaket der Energiestrategie 2050 beteiligt. Später haben Studierende einen Blog ins Leben gerufen, der einen Faktencheck zur Energiestrategie 2050 bietet. Damit wollten sie sich gegen unsachliche und populistische Behauptungen in der Abstimmungsdebatte zum Energiegesetz 2017 zur Wehr setzen. Und kürzlich erst haben sich Studierende an der Vernehmlassung zur Revision des Stromversorgungsgesetzes beteiligt. Gerade junge Menschen sind ja von politischen Weichenstellungen und Beschlüssen am meisten betroffen. Umso wichtiger ist es, dass sich unsere angehenden Fachleute mit diesen gesellschaftlich relevanten Fragen auseinandersetzen und sich in die öffentliche Diskussion einbringen.
Franz Baumgartner: Ich kann unsere Studierenden nur dazu ermuntern, ihr Fachwissen in den politischen Diskurs einzubringen und mögliche Lösungen aufzuzeigen. Durch meine langjährige Zusammenarbeit mit Verbänden für erneuerbare Energien weiss ich sehr gut, dass die Kommunikation mit den politischen Vertretern in der Schweiz enorm wichtig ist. Es ist ja auch eine tolle Möglichkeit für unsere Studierenden, auf diese Weise der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Wer Energie- und Umwelttechnik studiert, braucht sich später nicht zu rechtfertigen, womit er sein Geld verdient.