Robust und funktional: Eine Fingerprothese für Kinder aus dem 3D-Drucker
Forschende vom ZHAW-Institute of Product Development and Production Technologies hatten sich zum Ziel gesetzt, eine kostengünstige, leicht produzierbare Fingerprothese zu entwickeln, bei der vor allem die Funktionalität im Vordergrund stehen soll. Nun wurde der erste Prototyp erstmals ausprobiert – sehr zur Freude der jungen Testträgerin.
Die neunjährige Aurélie Trachsel schaut mit grossen Augen auf die Fingerprothese, die ihr Manuel Hitz, wissenschaftlicher Assistent am ZHAW-Institute of Product Development and Production Technologies (IPP), behutsam anlegt. Gespannt schauen ihr kleiner Bruder und ihre Mutter Céline Trachsel dabei zu. «Die ist ja toll», freut sich Aurélie und bewegt langsam die drei kleinen Prothesenfinger, die allesamt im 3D-Druck-Verfahren hergestellt wurden. Die Neunjährige, der von Geburt drei Finger an der linken Hand fehlen, testet erstmals die Prothese, die das Team um Stefan Czerner, Schwerpunktpunktleiter des Bereichs Advanced Production Technologies am IPP, entwickelt hat.
Dem Projekt gingen bereits Studierendenprojekte sowie die Bachelorarbeit der ZHAW-Absolventen Manuel Hitz und Alexander Meier voraus. Ziel der Forschenden war es, die Fingerprothese für Kinderhände zu verbessern und so zu entwickeln, dass sie dem rasanten Kinderalltag standhalten kann. Sie soll zu geringen Kosten herstellbar sein und durch hohe Funktionalität punkten. Durch die günstige Herstellung der Prothese ist auch deren Einsatz in Entwicklungsländern denkbar. Zudem soll sie einen besseren Halt als bisherige Prothesen ermöglichen, eine bessere Kontrolle beim Halten von Gegenständen bieten und leicht zu reinigen sein. Kurz gesagt: Eine Fingerprothese, die für die Träger:innen leicht und bequem nutzbar ist. Bisher wurde für die Herstellung dieser Art von Prothesen die Kunststoffe PLA oder ABS verwendetet. «Für unsere Prothese verwenden wir TPU (Thermoplastische Polyurethane), ein weiches elastisches Material, das im Gegensatz zu PLA und ABS nicht bricht. Damit lassen sich biegbare Gelenke herstellen, die es erlauben den Finger aus einem Guss zu drucken» erklärt Manuel Hitz, der den Prototypen konstruiert hat. Zudem brauche es durch die Elastizität des TPU wenig Kraft, um den Finger zu biegen, und die Oberfläche bietet besseren Halt beim Greifen von Gegenständen, ergänzt Manuel Hitz. Massgeblich beteiligt an der Entwicklung des TPU-Drucks war zudem Lauro Singenberger, wissenschaftlicher Assistent im Bereich additive Fertigung des IPP.
Die einzelnen Finger der Prothese werden durch Nylonschnüre bewegt, ausgelöst durch die Bewegung des Handgelenks. Schülerin Aurélie zeigt sich begeistert nach dem ersten Ausprobieren. Schnell blättert sie mit Hilfe der Prothese in einem Heft, bewegt die einzelnen Finger mühelos und hebt sogar kleinere Gegenstände damit auf. «Ich hätte nicht erwartet, dass die Prothese gleich so gut funktioniert», sagt Aurélies Mutter, Céline Trachsel. Bis zum nächsten Termin darf Aurélie daher die Prothese ausleihen und ausgiebig im Alltag ausprobieren.
Bionicman knüpfte den Kontakt zur ZHAW
Der Kontakt zwischen Familie Trachsel und dem Team der ZHAW kam durch Michel Fornasier zustande, der vor allem durch seinen ehrenamtlichen Einsatz für Kinder mit körperlichen Handicaps ist und als Bionicman regelmässig Kinderspitäler und Schulen besucht. In seinen Vorträgen macht er sich für Inklusion stark und spricht über Mobbing und körperliche Beeinträchtigungen bei Kindern. Fornasier kam selbst ohne rechte Hand zur Welt und trägt eine Hightech-Prothese. Mit seinem von ihm selbst geschaffenen Superhelden Bionicman versucht er das Thema Inklusion für Kinder zugänglicher zu machen. Seine Stiftung Give Children a Hand ist Kooperationspartner des ZHAW-Projekts.